ärztliche Berufsordnung Info 3
 


Der verkürzte Versorgungsweg
- Abgabe von Brillen in der Augenarztpraxis


Mit seinem Urteil vom 24. Juni 2010 zum sogenannten „verkürzten Versorgungsweg" für die Abgabe von Brillen hat der Bundesgerichtshof in einer über viele Jahre hinweg strittigen Frage Rechtssicherheit hergestellt.


Die langwierigen Verfahren vor den Gerichten im Streit um die Abgabe von Brillen in der augenärztlichen Praxis können nunmehr als abgeschlossen angesehen werden. Speziell weisen wir hier auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 24.6.2010 (Az: I-ZR182/08) und des Oberlandesgerichts (OLG) Celle vom 8.4.2010 (Az: 13U118/06) sowie des Landgerichts (LG) Würzburg vom 11.2.2010 (Az: 1HK-O-2444/09) hin. Es handelt sich um drei verschiedene Gerichtsverfahren mit unterschiedlichen Schwerpunkten.


Brillenabgabe durch Augenarzt:
Muss „notwendiger Bestandteil
der ärztlichen Therapie" sein

Wegen der dort festgestellten Einschränkung der Abgabe von Brillen oder anderen Hilfsmitteln in der Augenarztpraxis kann der verkürzte Versorgungsweg unter bestimmten Voraussetzungen empfohlen werden. Es besteht rechtlich gesehen kein generelles Verbot. Weiterhin ermöglicht der verkürzte Versorgungsweg, dass Brillen, vergrößernde Sehhilfen und andere Hilfsmittel abgeben werden können, ohne Beschäftigung eines Handwerkmeisters, denn die Herstellung der Produkte erfolgt außerhalb der Praxis durch autorisierte Optikerfirmen, indem diese die Hilfsmittel nach Bestellung in die Augenarztpraxis oder direkt an den Patienten liefern. Dies eröffnet eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Augenarzt und dem Augenoptiker, so dass der Patient lediglich einen Ansprechpartner hat, nämlich den Augenarzt, falls der Patient mit dem Hilfsmittel nicht wie gewünscht zurechtkommt.

Bei den HNO-Ärzten hatte der BGH in früheren Jahren die Abgabe von Hörgeräten über den verkürzten Versorgungsweg in der HNO-Praxis generell für zulässig erachtet.

Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe und das Oberlandesgericht in Celle haben den verkürzten Versorgungsweg bei der Abgabe von Brillen nach §34 Absatz 5 der ärztlichen Berufsordnung (BOÄ) lediglich für die Fälle als zulässig angesehen, in denen ein „hinreichender Grund" besteht. Der hinreichende Grund muss nicht zwingend einen medizinischen Hintergrund haben, um „notwendiger Bestandteil der ärztlichen Therapie" im Sinne des §3 Absatz 2 BOÄ zu sein.


Hinreichender Grund für verkürzten Versorgungsweg:
Wunsch des Patienten reicht nicht aus

Folglich kommt es stets auf den Einzelfall an. Um welche Einzelfälle es sich handelt, wurde vom Gericht nicht weiter dargelegt. Lediglich wurde bei zwei Fallkonstellationen kein hinreichender Grund angenommen.

1. Dass der Augenoptiker sich nicht an die ärztliche Verordnung hält und nachrefraktioniert.
2. Dass der Patient den ausdrücklichen Wunsch äußert, die Brille beim Augenarzt zu erwerben.

Diese Gründe reichten dem BGH nicht, um als „hinreichend" zu gelten. Zwar darf der Augenoptiker ohne Rücksprache nicht einfach nachrefraktionieren, aber diese spezielle Problematik erfordert nach Meinung des BGH keine Brillenabgabe in der Praxis.
Es sei auch kein hinreichender Grund, wenn der Patient ausdrücklich den Wunsch äußert, sich die verordnete Lesebrille in der Augenarztpraxis auszusuchen, weil ihm der Weg zum nächsten Augenoptikergeschäft zu weit ist und ihn dies zu viel Zeit kostet und/oder der Patient besonderen Wert darauf legt, alles aus einer Hand zu erhalten. Diese besondere Serviceleistung ließ der BGH nicht als Rechtsgrund gelten. Der wirkliche Wunsch des Patienten blieb unberücksichtigt, obwohl das OLG Celle zunächst anders entschieden hatte.


Behinderung des Patienten:
Laut BGH hinreichender Grund

Hingegen lässt der BGH eine Behinderung des Patienten als hinreichenden Grund gelten. Dem Patienten sei es dann nicht zumutbar, ein Augenoptikergeschäft aufsuchen zu müssen. In dem Fall kann die Brille in der Praxis abgegeben werden.

Die medizinischen Fälle ließ das Gericht offen - bei welchen schweren Erkrankungen am Auge die Abgabe der Brille in der Augenarztpraxis einen hinreichenden Grund darstellen könnte.


Argumentation des BGH:
Nur schwer nachvollziehbar und unverständlich

Die HNO-Ärzte haben es einfacher, sie dürfen generell Hörgeräte an ihre Patienten über den verkürzten Versorgungsweg abgeben. Die Ungleichbehandlung konnte nicht wirklich aufgelöst werden. Der BGH begründet dies mit der unterschiedlichen Handhabung der Abrechnung der Leistungen. Diese Argumentation ist nur schwer nachvollziehbar und bleibt letztendlich unverständlich, denn die Art und Weise der Abrechnung kann kein Argument für den hinreichenden Grund sein, zumal der Augenarzt unstreitig als qualifiziert für eine sachgerechte Gläser- und Brillenauswahl sowie deren Anpassung anzusehen ist.

Die Gerichtsverfahren sind abgeschlossen. Soweit Brillen oder andere Heil- oder Hilfsmittel in der Praxis abgegeben werden sollen, sind gewisse Grundsätze zu beachten.


Wenn Brillenabgabe,
dann strikte Trennung von der Praxis

Um nicht gegen die ärztliche Berufsordnung zu verstoßen, ist beim verkürzten Versorgungsweg darauf zu achten, dass eine strikte räumliche Trennung eingehalten wird. Dies muss noch konsequenter eingehalten werden als bei der Abgabe der Kontaktlinse, die in den eigenen Praxisräumen angeboten und verkauft werden dürfen.

Hingegen darf der Verkaufsraum für die Brillenfassungen keinen eigenen Zugang zur Praxis haben. Soweit unmittelbar neben der Praxis oder auf derselben Etage oder im Haus ein eigener Raum mit einem eigenen Zugang existiert, kann dieser für den Brillenverkauf genutzt werden. Dort dürfen die Brillenfassungen ausgestellt und dort darf die erforderliche Vermessung zur Fertigung der Brille vom Personal vorgenommen werden. Es bedarf eines eigenen Arbeitsvertrages mit der Person, die in dem Verkaufsraum stundenweise tätig ist. Die im Verkaufsraum verantwortliche Person darf nicht zur gleichen Zeit in der Praxis angestellt sein. Auch hier ist für eine klare Trennung der zeitlichen Zuständigkeit zu sorgen. Der Verkaufsraum darf nicht als Ausweichraum für augenärztliche Untersuchungen dienen.


Verkaufsraum als Gewerbe anmelden:
Augenarzt darf dort nicht auftreten

Da es sich um eine gewerbliche Tätigkeit handelt, besteht die Pflicht der Gewerbeanmeldung und die Pflichtmitgliedschaft bei der IHK. Beim Verkauf über den verkürzten Versorgungsweg besteht keine Meisterpräsenzpflicht im Verkaufsraum und keine Genehmigung durch die Handwerkskammer. Die Verantwortlichkeit liegt allein beim Praxisinhaber, der allerdings in seiner Funktion als Augenarzt nicht in dem Geschäft auftreten und den Kunden beraten darf. Treten besondere Schwierigkeiten auf, die die/der Angestellte nicht lösen kann, so ist der Kunde zur weiteren Abklärung an die Augenarztpraxis zu verweisen. Zwar darf im Verkaufsraum eine Empfehlung zugunsten der Augenarztpraxis ausgesprochen werden, aber in den Praxisräumen darf für den Verkauf von Brillen nicht geworben werden, es darf auch kein Hinweis auf den Verkaufsraum erfolgen. Hingegen dürfen in der allgemein zugänglichen Fluretage Vitrinen und Verkaufsschilder aufgestellt und für den Brillenverkauf geworben werden.

Werden diese elementaren Grundsätze beachtet, so können in dem Verkaufsraum auch andere gewerbliche Leistungen oder Produkte angeboten werden, wie Nahrungsergänzungsmittel und Pflegemittel für die Kontaktlinsen und vergrößernde Sehhilfen. Der Geschäftsidee sind hier keine Grenzen gesetzt, immer vorausgesetzt, der Geschäftsinhaber verfügt über die dann notwendige Erlaubnis. Das Geschäftsmodell in Form einer Gesellschaft lässt weitere Personen zu, die Mitgeschäftsinhaber werden können.


Risiko trägt der Praxisinhaber

Besteht nicht die Möglichkeit der strikten räumlichen Trennung, so muss im Einzelfall entschieden werden, ob ein "hinreichender Grund" vorliegt, den Patienten an einen bestimmten Anbieter verweisen zu dürfen oder ob die Voraussetzungen gegeben sind, die Abgabe wegen ihrer Besonderheit als "notwendigen Bestandteil" der ärztlichen Therapie zu sehen. Das Risiko einer Abmahnung trägt stets der Praxisinhaber. Letztendlich eine unbefriedigende Lösung, denn nicht jeder Arzt besitzt die räumlichen Voraussetzungen, über einen zusätzlichen Verkaufsraum verfügen zu können.


Schwierige Rechtssituation

Sollte deshalb die Absicht bestehen, in der Praxis eine Verkaufsstelle einzurichten, ist auf die neue Rechtsproblematik, die mit der Änderung des §128 SGB V entstanden ist, hinzuweisen. Vertragsärzte dürfen nur auf der Grundlage vertraglicher Vereinbarungen mit den Krankenkassen über die ihnen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung nach den Hilfsmittelrichtlinien obliegenden Aufgaben hinaus an der Durchführung der Versorgung mit Hilfsmitteln mitwirken. Zurzeit bestehen keine Verträge dieser Art und sind auch in absehbarer Zeit eher nicht zu erwarten. Dem verkürsten Versorgungsweg steht der § 128 SGB V nicht entgegen.


Von diesem Urteil nicht betroffen:
Abgabe von Kontaktlinsen


In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass die Kontaktlinsenabgabe von diesen Urteilen und auch von den Änderungen des §128 SGB V nicht tangiert wird. Sie können wie bisher unter Beachtung der steuerrechtlichen Besonderheiten in der Praxis nach einer Entscheidung des OLG Stuttgart unmittelbar an den Patienten verkauft werden. Das aktuelle Urteil zum verkürzten Versorgungsweg gilt lediglich für die anderen Hilfsmittel und nicht für die Kontaktlinsen.


RA Willms

 

 
Kanzlei RA Willms - Mainz-City